Peter Pointner/Der parlamentarische Untersuchungsausschuss – ein historischer und rechtlicher Aufriss

Durch die Aussagen des ehemaligen Leiters des Bundeskriminalamtes, Dr. Herwig Haidinger, in der Sitzung des Innenausschusses vom 5. Februar 2008 steht der Verdacht im Raum, dass das Innenministerium eingesetzt wurde, um strategisch einen politischen Mitbewerber im Vorfeld der Nationalratswahl 2006 zu schädigen. Darüber hinaus wurde auch bekannt, dass Ermittlungspannen im Falle Kampusch nicht evaluiert werden sollten, um vor der Nationalratswahl 2006 keinen Polizeiskandal zu produzieren. Stimmen mehrten sich, dass ein Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der politischen Verantwortlichkeit eingesetzt werden soll. Der Bundesminister für Inneres, Günther Platter, hielt entgegen: Die SPÖ muss sich entscheiden, ob sie Aufklärung oder ein politisches Tribunal wolle. Am 3. März 2008 hat nunmehr der Nationalrat die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu diesen Themenbereichen beschlossen. Es sollen daher im Folgenden die historischen und rechtlichen Grundlagen des Untersuchungsausschusses dargestellt und der Frage Tribunal, ja oder nein, nachgegangen werden.

 

Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) normiert in Art. 53 Abs. 1 lapidar: Der Nationalrat kann durch Beschluss Untersuchungsausschüsse einsetzen. Abs. 2 bestimmt, dass die näheren Regelungen im Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates (GOG) zu treffen sind und schließlich stattet Abs. 3 den Untersuchungsausschuss mit Rechten aus, über die normale Ausschüsse des Nationalrates nicht verfügen: Die Gerichte und alle anderen Behörden sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse (gemeint sind damit die Untersuchungsausschüsse) um Beweiserhebungen Folge zu leisten; alle öffentlichen Ämter haben auf Verlangen ihre Akten vorzulegen.

 

Diese Bestimmung war seit Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes Bestandteil unserer Verfassungsurkunde und leitet sich von Art. 34 der Verfassung des deutschen Reiches (Weimarer Reichsverfassung) vom 11. August 1919 ab, wie dies auch Hans Kelsen in seinem Kommentar zum Bundes-Verfassungsgesetz ausführt. Bei genauerer Analyse sind jedoch zwei wesentliche Unterschiede hervorzuheben:

Auf der einen Seite hatte der Reichstag das Recht und auf Antrag von einem Fünftel seiner Mitglieder die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Die Weimarer Reichsverfassung kannte daher schon 1919 das Recht, dass eine Minderheit die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erzwingen kann. Diese Tradition wurde im Bonner Grundgesetz (GG) fortgesetzt; Art. 44 GG sieht vor, dass ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durchsetzen kann.

 

Beinahe 100 Jahre später wird diese Diskussion über die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht in Österreich immer noch geführt. Das geltende Recht sieht vor, dass Untersuchungsausschüsse nur durch Mehrheitsbeschluss des Nationalrates eingesetzt werden können. Vier Fraktionen des Hauses haben sich im Rahmen der laufenden Debatte im Geschäftsordnungskomitee für die Einführung eines Minderheitenrechtes ausgesprochen. Diesbezügliche Papiere liegen dem GO-Komitee vor; darüber hinaus wurden Anträge mit diesem Inhalt im Nationalrat eingebracht. Lediglich eine Fraktion – der Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei – steht dieser Reform ablehnend gegenüber. Da die ÖVP über mehr als ein Drittel der Abgeordneten (66 von 183) verfügt, kann sie dieses Vorhaben blockieren, weil Änderungen für die Einführung des Minderheitsrechtes im B-VG und im GOG notwendig sind, die nur mit 2/3-Mehrheit beschlossen werden können.

 

Auf der anderen Seite sah Art. 34 der Weimarer Reichsverfassung vor, dass der Untersuchungsausschuss seine Beweise in öffentlicher Verhandlung erhebt. Im Gegensatz dazu kennt die Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse (VO-UA) keine generelle Öffentlichkeit. § 4 VO-UA lautet: „Bei der Anhörung von Auskunftspersonen und Sachverständigen wird Medienvertretern vom Präsidenten nach Maßgabe der Räumlichkeiten Zutritt gewährt. Fernseh- sowie Hörfunkaufnahmen und –übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind unzulässig.“

 

Diese Diskriminierung gegenüber der Öffentlichkeit und die Bevorzugung von Medienvertretern sind auch aus Sicht des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtlich bedenklich. So hat der Verfassungsgerichtshof am 12.10.1993 (G109/92 und G13/93) die gleichlautenden Bestimmungen des Tiroler Landesverfassungsgesetzes aufgehoben und ausgeführt:

„Wenn der Landesverfassungsgesetzgeber einen parlamentarischen Vorgang wie hier grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich macht, könnte er nach dem oben dargelegten Verständnis der bundesverfassungsgesetzlichen Bestimmung des Art. 10 EMRK Medienvertretern bei Beschränktheit der räumlichen Möglichkeiten zwar einen Vorrang beim Zutritt zu den Sitzungen einräumen, er ist aber nicht berechtigt, andere Personen hievon völlig auszuschließen.“

 

Es wäre daher anzuraten, bei der nächsten Novelle die Bestimmung in § 4 VO-UA in diese Richtung abzuändern.

 

Die Erfahrungen im Ablauf der Untersuchungsausschüsse Lucona, Noricum und Milchwirtschaft haben aufgezeigt, dass – und auch insbesondere aus menschenrechtlicher Sicht – der Verweis in die Strafprozessordnung und die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen unzureichend ist. Es wurden daher nach umfassenden Verhandlungen die Verfahrensbestimmungen für die Untersuchungsausschüsse neu gestaltet und durch eine Anlage zum Geschäftsordnungsgesetz als Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse veröffentlicht (BGBl. I 1997/131); sie traten mit 1.1.1998 in Kraft.

 

Auch die Grundbestimmung im GOG – § 33 – wurde in diesem Zusammenhang umgestaltet. Der Ablauf betreffend die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellt sich nach geltendem Recht wie folgt dar:

Grundlage ist ein schriftlicher Geschäftsbehandlungsantrag, welcher gemäß den Bestimmungen von § 59 GOG durch jede/n Abgeordnete/n eingebracht werden kann; er bedarf keiner weiteren Unterstützung. Dieser Antrag hat den Gegenstand der Untersuchung, den Untersuchungsantrag sowie die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses zu enthalten. Zwingend muss mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuss vertretenen Partei dem Untersuchungsausschuss angehören. Gegenwärtig sind alle fünf Parlamentsfraktionen im Hauptausschuss vertreten und haben daher das Recht auf Teilnahme am Untersuchungsausschuss.

 

Die Debatte über einen Untersuchungsausschuss-Antrag, so die Antragstellerin/der Antragsteller eine verlangt, ist nach den Vorschriften über die sogenannten „Kurzen Debatten“ abzuhalten und findet am Ende der jeweiligen Nationalratssitzung statt. Es eröffnet die Antragstellerin/der Antragsteller mit einer Redezeit von 10 Minuten, das zuständige Mitglied der Bundesregierung kann danach für 10 Minuten das Wort ergreifen und im Anschluss kann jede Fraktion eine Rednerin oder einen Redner mit einer Redezeit von 5 Minuten nominieren. Die Abstimmung erfolgt nach der letzten Rednerin oder dem letzten Redner; sollte keine Debatte verlangt worden sein, findet sie am Schluss der Sitzung statt. Die Annahme des Antrages auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses erfolgt mit einfacher Mehrheit, also müssen mehr als die Hälfte der im Sitzungssaal anwesenden Abgeordneten ihre Zustimmung erteilen.

 

Eine Bestimmung, die Zufallsmehrheiten verhindern soll, beinhaltet § 33 Abs. 2 letzter Satz GOG, wonach ein Fünftel der Abgeordneten (also mindestens 37) schriftlich eine Verlegung der Abstimmung an den Beginn der nächsten Sitzung verlangen kann.

 

Ein immer wiederkehrender Rechtsstreit entflammt bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zur Problematik, was kann oder darf Thema eines Untersuchungsausschusses sein. Der Untersuchungsausschuss stellt zwar das „härteste“ Instrumentarium des Nationalrates im Kontrollbereich dar, unterliegt aber der generellen Ermächtigung zur Kontrolle der Bundesregierung im Sinne von Art. 52 B-VG. Dieser Artikel spricht von der Geschäftsführung der Bundesregierung und dem Recht, alle Mitglieder der Bundesregierung über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Absatz 2 dieser Bestimmung erweitert diese Kontrollrechte auf Unternehmungen, an welchen der Bund mit mindestens 50 % des Stamm-, Grund- oder Eigenkapitals beteiligt ist. Ebenfalls ist anerkannt, dass naturgemäß auch die Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes geprüft werden kann. Der Untersuchungsausschuss kann daher auch nur solche Angelegenheiten zum Prüfgegenstand haben, im Einzelfall kann eine Zurechnung schwierig sein (z.B. Parteienfinanzierung durch Private) (siehe auch Laura, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, S 9 ff).

 

Die Arbeit des Untersuchungsausschusses selbst basiert auf den sogenannten Beweisbeschlüssen (§§ 1f VO-UA). In diesen sind die Tatsachen, über welche der Beweis zu erheben ist, und die Beweismittel genau zu bezeichnen. Als Beweismittel kann alles verwendet werden, was geeignet ist, der Untersuchung im Rahmen des Untersuchungsauftrages zu dienen. In der Praxis der Untersuchungsausschüsse kommen als Beweismittel in der Regel der Urkundenbeweis (Vorlage von Akten) und die Vernehmung von Auskunftspersonen in Frage. Augenscheine vor Ort sind zwar grundsätzlich zulässig, aber unüblich.

 

Im Laufe des Banken-Untersuchungsausschusses kam es hinsichtlich der Übermittlung von Akten zu Interpretationsschwierigkeiten. Der Bundesminister für Finanzen, Wilhelm Molterer, übermittelte dem Nationalrat angeforderte Akten, die in weiten Bereichen geschwärzt wurden. Als Begründung wurde dafür das Bankgeheimnis herangezogen.

 

Es ist zwar nicht bezweifelbar, dass die Grundrechte der einzelnen Rechtsunterworfenen die Befugnisse auch eines Untersuchungsausschusses einschränken. (So auch Laura, Der parlamentarische Untersuchungsausschuss, 12.) Strittig ist jedoch, wer die Abwägung der Grundrechte vorzunehmen hat. Ist es das Mitglied der Bundesregierung, welches die Akten übermittelt, oder ist es der Ausschuss, der den Grundrechtsschutz wahrzunehmen hat. Obwohl verschiedene Gutachten zu diesem Thema eingeholt wurden, hat sich die Mehrheit der Verfassungsrechtler für die Wahrnehmung durch den Untersuchungsausschuss ausgesprochen. Sollte ein Normenkonflikt eintreten (z.B. Datenschutz), so sind die Mitglieder des Untersuchungsausschusses angetan, die Vertraulichkeit dieser Aktenteile zu wahren. Ein Bruch dieser Vertraulichkeit durch eine Person, die ein ihm in einer vertraulichen Sitzung zugänglich gewordenes Geheimnis offenbart, erfüllt den Tatbestand ‚Verletzung des Amtsgeheimnisses’ nach § 310 Abs. 2 StGB und ist mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bedroht.

 

Die geladenen Auskunftspersonen sind verpflichtet, der Ladung Folge zu leisten und vor dem Untersuchungsausschuss zu erscheinen. In diesem Zusammenhang sind bei Nichtbefolgung Ordnungsstrafen und Vorführungen zulässig. Ein Novum in der Verfahrensordnung ist die grundsätzliche Anweisung, dass öffentlich Bedienstete sich bei der Einvernahme auf die Amtsverschwiegenheit nicht berufen können. Besteht die Dienstbehörde dennoch auf die Amtsverschwiegenheit, so kann der Ausschuss mit 2/3-Mehrheit der Dienstbehörde widersprechen und damit die Amtsverschwiegenheit endgültig aufheben (§ 6 VO-UA).

 

Grundsätzlich werden die Auskunftspersonen einzeln einvernommen. Bei abweichenden Aussagen ist aber eine Gegenüberstellung zulässig. Die Aussage selbst erfolgt unter Wahrheitspflicht, Entschlagungsgründe sind jenen in gerichtlichen Verfahren nachempfunden (z.B. Angehörige oder Rechtsanwälte). Eine falsche Beweisaussage vor einem Untersuchungsausschuss ist gemäß § 288 Abs. 3 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

 

Zur Unterstützung der Auskunftspersonen und dem Schutz der Grund- und Persönlichkeitsrechte ist ein Verfahrensanwalt dem Vorsitzenden beizugeben. Er hat für die Einhaltung der Verfahrensregeln Sorge zu tragen und seine Position im Interesse des Grundrechts- und Persönlichkeitsschutzes auszuüben. Diese neue Einrichtung hat sich in der Praxis insbesondere beim Vorliegen divergierender Interpretationen von Rechtsfragen durch Ausschussmitglieder besonders bewährt.

 

Zum weiteren Schutz der Auskunftspersonen können sich diese bei ihrer Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuss durch eine Vertrauensperson begleiten lassen. Deren Aufgabe ist die Beratung der Auskunftsperson. Die Vertrauensperson hat jedoch nicht das Recht, Erklärungen abzugeben oder anstelle der Auskunftsperson zu antworten. So sehr aus grundrechtlicher Sicht diese Lösung zu befürworten ist, so sehr hat sich aber in der Praxis der Untersuchungsausschüsse eine Reihe von Problemen ergeben, da einige Vertrauenspersonen ihre Position dazu ausnützten, um die Befragung der Auskunftsperson (beispielsweise durch ausgiebige Beratungen der Auskunftsperson bei jeder einzelnen Anfrage durch die Mitglieder des Ausschusses oder durch lautstarkes Bezweifeln der Zulässigkeit von Anfragen) zu erschweren bis zu verhindern.

 

Schließlich ist die Frage zu stellen, ob der parlamentarische Untersuchungsausschuss Tribunalcharakter hat, ja oder nein?

 

Ein Hinweis auf die Verfahrensordnung zeigt, dass der Geschäftsordnungsgesetzgeber bemüht war, rechtliche Defizite des Verfahrens auszumerzen. Diese sind insbesondere gegenüber Auskunftspersonen entstanden, die stundenlang auf ihre Einvernahme warten mussten und dann infolge stundenlangen Befragungen unterworfen wurden. Eine solche Vorgangsweise entspricht nicht dem Gedanken eines fairen Verfahrens und einer menschenrechtskonformen Behandlung der Auskunftspersonen.

 

Dies hat sich jedoch durch die neue Verfahrensordnung deutlich verbessert, der Verfahrensanwalt hat die gesetzliche Aufgabe, die Rechte der Auskunftspersonen wahrzunehmen. Neben den Verfahrensvorschriften gilt es aber auch, die Rahmenbedingungen optimal zu gestalten. Bei dem am 3.3.2008 eingesetzten Untersuchungsausschuss zum Thema Innenministerium sollen Nachtvernehmungen nicht mehr vorkommen, die Anhörung von Auskunftspersonen soll nur mehr zwischen 10.00 und 18.00 Uhr erfolgen. Wenn jetzt noch alle Abgeordneten des Ausschusses die Sacharbeit und die Aufklärung des Untersuchungsgegenstandes in den Vordergrund stellen und auf parteipolitische Profilierung verzichten, so kann mit Sicherheit festgestellt werden: Der Untersuchungsausschuss ist kein Tribunal, sondern ein bedeutsames Instrument des Nationalrates für die Kontrolle der Vollziehung zum Schutz der Demokratie und des Rechtsstaates in Österreich.

 

 

 

Peter Pointner, Dr.jur.; Parlamentsrat; geboren 1962 in Wien; juristische Studien in Wien bis 1984; stellvertretender Klubdirektor der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion; Mitglied der Bundeswahlbehörde und des Österreichischen Datenschutzrates; Arbeitsschwerpunkte: Verfassung, Innere Sicherheit, Datenschutz, Parlamentarismus und Föderalismus