Ethik, Politik und Korruptionsbekämpfung bedingen Untersuchungsausschüsse als Minderheitenrecht

Die Österreichische Bundesverfassung ordnet dem Nationalrat neben der Bundesgesetzgebung als wichtigste Aufgabe die Kontrolle der Vollziehung zu. Welche Rechte dabei dem Nationalrat bzw. der jeweiligen parlamentarischen Einrichtung eines Staates zukommen, an diesem wird auch die Rechtsstaatlichkeit und das demokratische Gefüge eines Staates beurteilt. So ausgeprägter diese sind, so ausgeprägter ist die demokratische Entwicklung eines Staates.

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz und auf diesem basierend das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrates stellen den Abgeordneten im internationalen Vergleich eine breite Palette an theoretischen Möglichkeiten zur Verfügung. Doch genügt für eine objektive Beurteilung der reine Gesetzestext? Die Autoren – dem Rechtspositivismus verpflichtet – sind der Überzeugung, dass neben einer theoretischen Betrachtung auch eine Analyse der parlamentarischen Praxis und der parlamentarischen Usancen herangezogen werden muss, um ein tatsächliches Bild auf die Frage, wie sieht es mit den politischen Kontrollrechten des Nationalrates gegenüber der Bundesregierung in Österreich aus, gewinnen zu können.

 

Der folgende Text wird daher nicht streng nach rechtswissenschaftlichen Kriterien auf diese Frage eingehen, sondern um eine politologische Beurteilung der tatsächlichen Abläufe ergänzt werden.

 

Die zuerst erwähnte Palette von Instrumenten zur Kontrolle der Vollziehung reicht von Individualrechten von Abgeordneten über Rechte, die einer gewissen Anzahl von Abgeordneten zur Verfügung stehen, bis hin zu Rechten, die nur die Mehrheit im Nationalrat auslösen kann.

 

 

Zu unterscheiden sind auch Rechte, die während der Tagung des Nationalrates – also im Regelfall zwischen 15. September und 15. Juli – in Anspruch genommen werden können und Rechte, deren Einbringung an eine Nationalratssitzung geknüpft sind.

 

In quantitativer Hinsicht ist die schriftliche Anfrage jenes Instrument, das für den Alltagsfall im Bereich der Kontrolle am meisten in Anspruch genommen wird und daher in Folge analysiert werden soll. Mit Stand Ende März 2006 wurden von den Abgeordneten in der XXII. Gesetzgebungsperiode 4.100 Anfragen an die Mitglieder der Bundesregierung eingebracht. Das Geschäftsordnungsgesetz (in Folge GOG) gibt dem befragten Mitglied der Bundesregierung zwei Monate Zeit, diese Anfragen schriftlich oder mündlich zu beantworten, wobei die Möglichkeit der mündlichen Beantwortung in der Praxis nicht in Anspruch genommen wird.

 

  • 90 GOG definiert, was Inhalt einer solchen Anfrage sein kann. So ist der Nationalrat befugt, die Geschäftsführung der Bundesregierung zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Diesem Fragerecht unterliegen insbesondere Regierungsakte sowie Angelegenheiten der behördlichen Verwaltung oder der Verwaltung des Bundes als Träger von Privatrechten. Selbst eine oberflächliche Betrachtung stellt klar, dass der Geschäftsordnungsgesetzgeber den Abgeordneten damit ein weit reichendes Fragerecht eingeräumt hat. Nicht nur Gegenstände der Vollziehung, sondern auch Regierungsakte und geplante in Vorbereitung stehende Maßnahmen unterliegen dem Fragerecht.

 

Wörtlich sieht § 91 Abs. 4 GOG vor: „Ist dem Befragten eine Erteilung der gewünschten Auskunft nicht möglich, so hat er dies in der Beantwortung zu begründen.“ Das rechtliche Grundprinzip ist daher jenes, dass dem Mitglied der Bundesregierung in einem solchen Fall jedenfalls eine Antwortpflicht zukommt. Sollte ihm eine Antwort nicht möglich sein, so hat er die Nichtbeantwortung zu begründen. Üblicherweise wird dies eine rechtliche Begründung sein, so beispielsweise übergeordnete Normen – wie das Grundrecht auf Datenschutz – eine Beantwortung nicht zulassen.

 

Eine Durchsicht der Anfragebeantwortungen dieser Gesetzgebungsperiode zeigt jedoch das Dilemma und die Schere zwischen rechtlichem Anspruch und realem Agieren auf. Fragen werden zum Teil ohne Begründung nicht beantwortet, zum Teil wird die Beantwortung mit fadenscheinigen, rechtlich nicht haltbaren Begründungen verweigert. In Extremfällen werden Fragen auch einfach falsch beantwortet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass dieses Thema immer wieder die Präsidialkonferenz (gemäß § 8 GOG das höchste Beratungsorgan des Präsidenten des Nationalrates) beschäftigt.

 

Die Präsidialkonferenz selbst ist ein politisch zusammengesetztes Organ, bestehend aus den drei Präsidenten des Nationalrates und den Klubobleuten der parlamentarischen Fraktionen, dem in solchen Fragen nur ein beratendes Mandat zugeteilt wurde. Aber auch der Präsident des Nationalrates hat keine Schiedsrichterfunktion, mit der er feststellen kann, ob eine Beantwortung im Sinne des Gesetzes begründet verweigert oder ob sie widerrechtlich nicht beantwortet wurde.

 

Das GOG sieht für solche Fälle vor, dass über eine Anfragebeantwortung eine so genannte Besprechung von fünf Abgeordneten in Form einer kurzen Debatte erzwungen werden kann. Jedoch ist dieses Instrument zahlenmäßig stark beschränkt; Abgeordnete derselben Fraktion dürfen nur einmal pro Sitzungswoche eine solche verlangen. Da eine Sitzungswoche im Regelfall aus zwei Sitzungstagen besteht und gegenwärtig vier Fraktionen im Nationalrat vertreten sind, kann also jede Fraktion durchschnittlich jedes zweite Monat über eine Anfragebeantwortung eine Besprechung verlangen. Verglichen mit der Zahl von 4100 eingebrachten Anfragen ist das Missverhältnis offensichtlich.

 

Sollte es dennoch zu einer Besprechung einer Anfragebeantwortung kommen, kann der Nationalrat beschließen, dass die Anfragebeantwortung nicht zur Kenntnis genommen wird. Damit wird aber die Entscheidung über die Qualität einer Anfragebeantwortung in die Hände der Mehrheitsfraktionen, die auch die Regierung bilden, gelegt. Es entscheiden also die Regierungsfraktionen darüber, ob eines ihrer Regierungsmitglieder eine Anfragebeantwortung gegen die Bestimmungen der Geschäftsordnung gegeben hat. Eine Entscheidung, die dann in der parlamentarischen Praxis zu Gunsten des Regierungsmitgliedes ausgeht.

 

Lediglich einmal in der Geschichte des Nationalrates ist es zu einer zufälligen Mehrheit der Opposition gekommen, die eine Anfragebeantwortung nicht zur Kenntnis genommen hat. Wieder nach langen Beratungen in der Präsidialkonferenz kam es zu dem Ergebnis: Kein Ergebnis.

 

Mit dieser Darstellung soll die Problematik aufgezeigt werden, dass die Mehrheit eines parlamentarischen Gremiums schon aus rein politischem Interesse kein taugliches Instrument für die Beurteilung von sensiblen Fragen im Bereich der Kontrolle der Vollziehung ist. Dies führt nun zum Thema dieses Aufsatzes. Die Bundesverfassung sieht in Artikel 53 das schärfste Instrument der Kontrolle der Vollziehung vor: Die Untersuchungsausschüsse.

 

Gemäß der zitierten Bestimmung des Bundes-Verfassungsgesetzes in Verbindung mit § 33 GOG kann der Nationalrat aufgrund eines Antrages zur Geschäftsbehandlung den Beschluss auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses fassen. Damit hat der Geschäftsordnungsgesetzgeber einen zumindest auf erstem Blick eigenartigen Weg gewählt, wie Untersuchungsausschüsse zustande kommen. Die Hürde für die Antragstellung wurde äußerst minderheitenfreundlich gestaltet, denn jeder der 183 Abgeordneten kann einen Untersuchungsausschussantrag stellen. Er bedarf dafür keiner weiteren Unterstützung. (Selbst Entschließungsanträge bedürfen im Vergleich dazu der Unterstützung von fünf Abgeordneten.)

 

Die Entscheidung selbst wurde jedoch äußerst restriktiv verankert. Denn nur wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Nationalrates einer Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zustimmt, kommt ein solcher zustande und kann seine Arbeit aufnehmen.

 

Der gegenständliche Sammelband ist dem Thema „Ethik, Politik und Korruptionsbekämpfung“ gewidmet. Und gerade in diesem Bereich hat die Einrichtung Untersuchungsausschuss eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen. Im Spannungsverhältnis zwischen Politik, Umgang mit Steuergeldern, Beschaffungen, Ausschreibungen von Leistungen und ähnlichem kann es zu Verfehlungen kommen. Diese Verfehlungen haben auf der einen Seite rechtliche Konsequenzen, und hier ist es Aufgabe der Gerichte, diese rechtlichen Konsequenzen durchzusetzen.

 

Neben der rein rechtlichen Verfehlung gibt es aber auch noch politische Verantwortlichkeiten, und gerade der Untersuchungsausschuss ist ein taugliches Instrumentarium, diese politischen Verantwortlichkeiten aufzudecken und allfällige Konsequenzen durch die Veröffentlichung eines Untersuchungsberichtes anzuregen.

 

 

In der Tradition der Zweiten Republik wurde auch tatsächlich von der Mehrheit im Nationalrat eine Reihe von Untersuchungsausschüssen eingesetzt. Es waren sehr interessante Themen, die die Öffentlichkeit beschäftigten und die in unzähligen Sitzungen dieser Untersuchungsausschüsse aufgearbeitet wurden. Es ging dabei von Autobahnbauten über eine Spionageaffäre im Bundesministerium für Inneres bis hin zu Flugzeugeinkäufen des Bundesheeres. Besser bekannt sind sicher die weniger lang zurück liegenden Untersuchungsausschüsse, wie Konferenzzentrum Wien, Bau des AKH, der Lucona-Untersuchungsausschuss oder der Ausschuss für den Export von Kriegsmaterial unter dem Titel „Noricum“, der Milchwirtschaftsausschuss und schließlich der Euroteam-Ausschuss.

 

Diese Ausschüsse haben politisch heikle Themen bearbeitet, es kam dabei zu dramatischen Konsequenzen für angesehene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bis hin zum Rücktritt von Mitgliedern der Bundesregierung. Ebenso bedeutend waren aber auch die Schlussfolgerungen, die in den Berichten dieser Ausschüsse publiziert wurden. Diese brachten auf der einen Seite neue Kontrollgremien wie die Unterausschüsse zur Kontrolle der staatspolizeilichen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten, auf der anderen Seite revolutionierten sie das öffentliche Ausschreibungsverfahren oder gründeten die Innenrevisionen in den Bundesministerien. Ämtertrennungen und Unvereinbarkeiten wurden aus Anlass dieser Ergebnisse ausgebaut und deren Missachtung mit strengen Konsequenzen bedacht.

 

Die Politikwissenschaft hat den Übergang in Österreich mit der Bildung der Koalition zwischen ÖVP und FPÖ im Jahr 2000 als Bruch mit der Konkordanzdemokratie und Beginn der Konkurrenzdemokratie – Stichwort: „speed kills“ – bezeichnet. Die Konkordanzdemokratie prägte Österreich nicht nur durch Einrichtungen wie die Sozialpartnerschaft, sondern auch dadurch, dass gemeinsam eingesehen wurde, dass gewisse politische Vorgänge der Aufklärung bedürfen. Die nunmehr herrschende Konkurrenzdemokratie hat solche Kompromisse verdrängt. Es wurde der Machterhalt einer Regierungskoalition als höchste Priorität definiert, alle anderen Ziele dem untergeordnet. Logische Konsequenz daraus ist, dass die Kontrollarbeit im Nationalrat zum größten Teil nur mehr durch die Oppositionsfraktionen ausgeübt wird, es finden sich jedenfalls keine gemeinsamen Mehrheiten mit den Abgeordneten der Regierungsfraktionen zur Ausübung der Kontrolltätigkeit.

 

 

Deswegen auch die folgende Konsequenz: Es gibt seit dem Jahr 2000 keine Untersuchungsausschüsse mehr. Und dies, obwohl es eine Reihe von Themen gibt, die tatsächlich einer tiefgehenden und detaillierten parlamentarischen Überprüfung in einem Untersuchungsausschuss bedurft hätten. Es sei hier nur die teuerste Beschaffung der Österreichischen Republik, die Beschaffung von zunächst 24, nunmehr 18 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter erwähnt. In diesem Zusammenhang gibt es widersprüchliche Aussagen, dem Rechnungshof werden Vertragsbestandteile vorenthalten, der Nationalrat unvollständig informiert, während der Beschaffung die Typenbeschreibung verändert, alles Sachverhalte, die nach einem Untersuchungsausschuss geradezu betteln.

 

Die Veränderung der politischen Situation in Österreich seit 2000 verlangt daher dringend nach einer Korrektur der parlamentarischen Instrumente, mit welchen die Bundesregierung und deren Geschäftsführung kontrolliert werden soll, um den schon etwas angeschlagenen Standard in der parlamentarischen Kontrolle zumindest gleich hoch zu halten.

 

Es kann nicht mehr blauäugig davon ausgegangen werden, dass die Usancen vor 2000 wieder einfach zurückkommen. Es ist Zeit zu reagieren. Daher schlagen die Autoren vor, dass, gleichgültig wie sich die nächste Regierung nach der Wahl 2006 zusammensetzen wird, ein Demokratiepaket beschlossen werden muss, dessen wichtigster Bestandteil die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht ist. Dabei sollen die Unterstützungserfordernisse so gestaltet werden, dass auch bei einer etwaigen großen Koalition die Oppositionsfraktionen einen Untersuchungsausschuss einsetzen können. Zur Beruhigung all jener, die damit die Handlungsfähigkeit des Nationalrates gefährdet sehen, kann auch eine Grenze eingezogen werden, wonach beispielsweise nur zwei Untersuchungsausschüsse gleichzeitig eingesetzt werden dürfen.

 

Geben wir der österreichischen Demokratie eine Chance, machen wir das Recht auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen zum Minderheitsrecht.

 

 

 

ANTON GAAL

Hofrat; geboren 1940 in Trautmannsdorf; seit 1989 stellvertretender Landesvorsitzender der SPÖ-Wien; seit 1990 Abgeordneter zum Nationalrat; Obmann des Unterausschusses zur Kontrolle der nachrichtendienstlichen Aktivitäten; Obmann-Stellvertreter des Ausschusses für Innere Angelegenheiten, des Landesverteidigungsausschusses und des Unterausschusses zur Kontrolle der staatspolizeilichen Aktivitäten; amtsführender Vorsitzender der parlamentarischen Bundesheer-Beschwerdekommission; Arbeitsschwerpunkte: Innere und Äußere Sicherheit, Kontroll-Unterausschüsse

 

PETER POINTNER

Dr.jur.; Parlamentsrat; geboren 1962 in Wien; juristische Studien in Wien bis 1984; stellvertretender Klubdirektor der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion; Mitglied des Österreichischen Datenschutzrates; Arbeitsschwerpunkte: Innere Sicherheit, Datenschutz und Parlamentarismus